GBS-Trilogie über die Digitalisierung von Backoffices II

Zweiter Teil: «Die Revolution hinter den Kulissen – Wo stehen wir heute?»

Irgendwann in den 1990er-Jahren hat die digitale Transformation der Unternehmenswelt begonnen. Während dieser Prozess kontinuierlich läuft, gibt es immer wieder Wellen, in denen das Thema in der öffentlichen Debatte auftaucht. Jetzt ist dies im Zusammenhang mit KI, der generativen Künstlichen Intelligenz, erneut der Fall. Während sich, für alle sichtbar, das «Interface» zwischen Unternehmen und Kunden revolutioniert, transformieren sich natürlich auch die Verwaltungen. Ich möchte hier auf das Thema «Digitalisierung von Backoffices» eingehen und widme mich in dieser Trilogie dem Phänomen Shares Services und Global Business Services. Im ersten Teil habe ich bereits den Bereich definiert, meinen persönlichen Zugang dazu geschildert und erklärt, warum GBS mich so sehr fasziniert. Im heutigen zweiten Teil geht es um eine Bestandsaufnahme, bevor ich dann im dritten und letzten Teil die fundamentalen Herausforderungen beleuchten und aufzeigen werde, wohin die Reise in Zukunft gehen könnte.

Eines ist klar: Global Business Services sind ein «Kind der Globalisierung». Warum soll in einer offenen, vernetzen Welt beispielsweise die Buchhaltung in jeder einzelnen Einheit erledigt werden, statt diese zusammenzulegen? Die sich daraus ergebenden Skaleneffekte können dann genutzt werden, zumal sich weltweit die Rechnungslegungsstandards mehr und mehr angleichen.

Heute, im Jahr 2023, steht die Frage im Raum, ob die entsprechenden Voraussetzungen angesichts der neuen geopolitischen Entwicklungen noch gegeben sind (viele sehen uns schon wieder im Kalten Krieg). Andererseits stellt die «New Work/Future of Work»-Entwicklung nach der COVID-Epidemie gerade einige der gewachsenen Grundsätze infrage. Aber schauen wir uns zunächst einmal die Gegenwart an:

Wo steht die GBS-Industrie heute im Jahr 2023?

Im GBS-Bereich gibt es nicht die eine Musterlösung. Die Anzahl der Faktoren, die für die eine Lösung berücksichtigt werden müssen, sind zahlreich und viele davon haben eine strategische Bedeutung. Jedes Unternehmen muss die für sich individuell passende Lösung finden. Gleichzeitig gilt es zu beachten, dass ein Trial-and-Error-Approach in Grossunternehmen fatal sein kann. In meiner MBA-Thesis habe ich ein amerikanisches 1.5 Milliarden Dollar Unternehmen erwähnt, das als Grund für seinen Konkurs Folgendes angegeben hat: Sie haben ein erfolgreiches GBS-Konzept von einem anderen Unternehmen durchgeboxt. Dabei haben sie es aber versäumt zu realisieren, dass dieses stark auf zentralisierte Prozesse gesetzt hat, was nicht kompatibel mit der eigenen dezentralisierten Firmenkultur war. Um solchen Fehlschlägen entgegenzuwirken, nenne ich hier die wichtigsten Fragestellungen:

  • Ausgangslage und Zweck: Handelt es sich um ein homogen gewachsenes Unternehmen oder um ein Konglomerat mit vielen verschiedenen Bereichen? Geht es in erste Linie um Effizienz, Skalenerträge und Kosten, oder um eine Digitalisierungsstrategie für das Backoffice? Gibt es (End-to-End-)Prozesse oder sollen diese erstmals erstellt und optimiert werden?
     
  • Unternehmenskultur: Welche Werte werden gelebt? Wie weit steht psychologische Sicherheit im Fokus? Was ist die Führungsphilosophie? Werden Entscheidungen zentral gefällt und dann nach unten delegiert, oder werden gemeinsame Ziele definiert und die Entscheidungen mehrheitlich dezentral in den Business-Units gefällt?
     
  • Bereiche: Was soll miteinbezogen werden, und in welcher Reihenfolge? Die GBS-Hitparade wird vom Finanzwesen, vor der HR, dem Einkauf, IT, Sales und der Logistik angeführt.
     
  • Sourcing: Steht eine Inhouse-Shared Services Struktur oder ein externes Outsourcing-Modell im Vordergrund? Und beim hybriden Approach (meinem Favoriten): Welche Funktionen und Prozesse sollen internalisiert (insourced), welche ausgelagert (outsourced) und welche in Partnerschaften (co-sourcing) durchgeführt werden?
     
  • Standorte: Standen in der Vergangenheit oft die Kosten (Gehälter, Steuern und Incentives) im Vordergrund, geht es mehr und mehr darum, an welchen Standorten die entsprechenden Ressourcen überhaupt zur Verfügung stehen, inwiefern diese mit den existierenden Standorten übereinstimmen und wie sich daraus der bestmögliche Mix ergibt.
     
  • Technologie und Infrastruktur: Welche IT-Infrastruktur und welche Technologieplattformen bestehen? Wie kann die Integration mit dem Kerngeschäft optimal realisiert werden, und welches sind die Anforderungen betreffend Integration mit den externen Partnern? Wie weit ist die Automatisierung fortgeschritten? Gibt es eine robotergesteuerte Prozessautomatisierung (RPA)? Und was ist der Approach zu KI, der generativen Künstlichen Intelligenz?

Wenn daraus ein entsprechendes Target-Operating-Model (TOM) entworfen ist, gilt es eine Kosten-/Nutzen- und eine Risikoanalyse vorzunehmen, sowie eine Umsetzungsstrategie zu entwickeln. Auch hier gibt es diametral unterschiedliche Konzepte. Eine Transformation, die nicht kompatibel mit der Unternehmenskultur ist, scheitert bereits an der Einführung. Und bei der Entscheidung gilt es, sicherzustellen, dass die Evaluierung nicht nur auf finanzieller Grundlage basiert, sondern auch die beiden anderen Nachhaltigkeitskriterien (Mensch/Mitarbeitender und Umwelt/Geopolitik) berücksichtigt und somit auf ihre Zukunftsfähigkeit hin eingeschätzt wird.

Ein komplexer Themenbereich in einer komplexen Welt

Es sind diese vielen «grossen» Fragen, und sie sind fast alle strategische Natur. Dementsprechend viele Stolpersteine gibt es, und dementsprechend wichtig ist es, dass eine Transformation hin zu Shared Services und Global Business Services von der höchsten Unternehmensebene nicht nur abgesegnet, sondern auch aktiv unterstützt und deren Umsetzung auf strategischer Ebene koordiniert wird. Dies gilt sowohl für das angestrebte TOM und als auch und insbesondere für die Umsetzungsstrategie, weil es bei derartigen Umwälzungen innerhalb des Unternehmens zwangsläufig zu Gewinnern und Verlierern kommt.

Ein anderer Aspekt ist, dass sehr wahrscheinlich nicht das gesamte notwendige Know-how innerhalb des Unternehmens vorhanden und auf dem neusten Stand ist. Meistens wird deshalb ein externes Beratungsunternehmen miteinbezogen werden (müssen). Hierbei ist es wichtig, die richtige Balance zu finden, das externe Wissen und die Erfahrung ins eigene Unternehmen so zu integrieren, dass weder ein zum Beispiel anderswo eingeführtes Modell ohne Rücksicht und Anpassungen auf die eigene Philosophie und Kultur angepasst wird, noch das externe Wissen und Erfahrungen ignoriert werden.

Die drei aus meiner Sicht häufigsten und offensichtlichsten Fehlerquellen sind:

  1. Das Executive Sponsoring fehlt. Die Verantwortlichkeiten für den GBS-Bereich sind hierarchisch zu tief angesiedelt. Es fehlt die Unterstützung des Top-Managements oder die betroffenen Organisationen sind nicht genügend miteinbezogen und einige davon im Oppositionsmodus.
     
  2. Die Wichtigkeit des Know-hows wird unterschätzt, sowohl bei der Ausgestaltung des TOM als auch bei der Umsetzung. In beiden Bereichen braucht es sowohl die technischen Kompetenzen als auch die Erfahrung. Der Wahl des externen Beraters kommt eine sehr hohe Bedeutung zu.
     
  3. Der Weg wird das Ziel, wenn sich strategische Entscheidungen (Insourcing, Outsourcing vs. Co-Sourcing, Wahl des Beraters, …) auf den Transformationsprozess statt auf das angestrebte TOM fokussieren. Eine Transformation anzufangen, bevor alle Stakeholder das angestrebte TOM verinnerlicht haben, sich dazu bekannt und es formell abgesegnet haben, kostet viel Zeit und noch mehr Geld.

Wie sieht es in Ihrem Unternehmen aus? Haben Sie eine Global Business- oder Shared Services Strategie? Wenn ja, ist diese fit für die Zukunft? Wenn nein, planen Sie, auf diesen Zug aufzuspringen? Ihr Feedback interessiert mich, sei es als Kommentar, mit einer Vernetzung auf LinkedIn oder einer entsprechenden Nachricht.

PS Lassen Sie sich von der Zukunft leiten - das Beste im Leben kommt noch.