Was Resilienz mit Zukunft und Strategie zu tun hat

Über «Black Swan Events» und das Unvorhersehbare

Ich habe kürzlich einen Post zum Thema «Black Swan Event» geschrieben und Tipps gegeben, wie man sich auf das Unvorhersehbare vorbereiten kann. Die Reaktionen darauf haben mich veranlasst, das zu vertiefen und den heutigen Blog dem Thema Resilienz zu widmen. Was ist Resilienz eigentlich, warum ist sie plötzlich so wichtig? Was hat sie mit Zukunftsfähigkeit zu tun und wie gehen wir bei der Strategieplanung am besten damit um? Darum geht es in diesem Blogartikel.

Was Resilienz im Business Kontext genau bedeutet

Resilienz generell definieren der deutsche Duden und das englische Oxford Dictionary als  

  • die «Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen, respektive sich nach solchen rasch wieder zu erholen».

Business Resilienz definiert der ISO-Standard 22316:2017 als

  • die «Fähigkeit einer Organisation, ein sich veränderndes Umfeld aufzunehmen und sich anzupassen, um ihre Ziele zu erreichen, zu überleben und zu prosperieren».

Wichtig erscheint mir hier der Hinweis, dass Business Resilienz weiter geht als das operative Weiterführen des Unternehmens, was als Business Continuity Management bezeichnet und im ISO-Standard 22300:2018 definiert wird als

  • die «Fähigkeit einer Organisation, nach einer Unterbrechung die Lieferung von Produkten oder Dienstleistungen auf einem akzeptablen, vordefinierten Niveau fortzusetzen».

Resilienz im Unternehmenskontext ist von strategischer Natur und verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, indem es sowohl Führungsgrundsätze, Governance-Strukturen, Investitions- und Ressourcen-Planung als auch das Risikomanagement und das operative Business Continuity Management mit den entsprechenden Notfallplänen einbezieht.

Kofi Annan und warum wir uns mit Resilienz so schwertun

Seit der COVID-Pandemie hat das Thema Hochkonjunktur und ist gefühlt in aller Munde. Warum war das nicht schon früher der Fall, warum brauchte es COVID, um Resilienz den Stellenwert zu geben, den sie eigentlich in unserer VUCA-Welt schon seit Jahrzehnten verdient hätte? Es gibt dazu ein wunderbares Zitat von Kofi Annan, Friedensnobelpreisträger und ehemaliger UN-Generalsekretär (1997-2006), welches das haarscharf und auf den Punkt beantwortet:

«Es ist nicht einfach, eine Kultur der Prävention aufzubauen. Während die Kosten der Prävention in der Gegenwart bezahlt werden müssen, liegt ihr Nutzen in einer fernen Zukunft. Ausserdem sind die Vorteile nicht greifbar; es sind die Katastrophen, die NICHT passiert sind.»

Dieses Zitat drückt sehr schön aus, warum eine kurzfristige, «Return on Investment» gesteuerte Führung das Thema gerne vernachlässigt und warum die flächendeckende Pandemie dem Thema plötzlich den Stellenwert ermöglicht, den es eigentlich schon immer verdient hätte.

Was sagt uns die Zukunftsforschung?

Die Zukunftsforschung unterteilt die Zukunft aufgrund ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit in drei Bereiche, welche vom Copenhagen Institute for Futures Studies wie folgt definiert werden:

  • Megatrends, Eintrittswahrscheinlichkeit 100%: Megatrends sind die eigentlichen Treiber des Wandels. Es handelt sich um Entwicklungspfade, die sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft prägen und die zumeist auch in turbulenten Zeiten ihren Kurs beibehalten. Wir können Megatrends als langfristige Orientierungshilfe nutzen. Sie sind von globaler Tragweite, aber ihre Auswirkungen sind lokal unterschiedlich. Megatrends sind zwar erwartete Entwicklungen, aber ihre Entwicklung verläuft selten linear.
     
  • Unsicherheiten, Eintrittswahrscheinlichkeit 50%: Unsicherheiten unterscheiden sich von Trends in dem Sinne, dass wir uns über die zukünftige Richtung, Stärke und/oder Häufigkeit unsicher sind. Daher sollten wir in der Lage sein, zwei extreme, aber plausible Ergebnisse – d.h. Polaritäten – zu identifizieren, indem wir alternative Wege beschreiben, wie sich ein Thema entwickeln könnte. Ungewissheiten werden als kritisch eingestuft, wenn sie als belastend eingeschätzt werden.
  • Wild Cards oder «Black Swan Events», Eintrittswahrscheinlichkeit <10%: Das sind Ereignisse oder Entwicklungen mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber grossen Auswirkungen, falls sie eintreten. Pandemien und Finanzkrisen sind zwei klassische Wild Cards, denn sie sind ständig drohende und bekannte Gefahren. Wir wissen nie, wann sie eintreten werden, aber wir wissen, dass ihre Auswirkungen massiv und unvorhersehbar sind.

Es gibt also einerseits Megatrends und Entwicklungen, welche als sicher gelten, gestaltet werden wollen und deshalb geplant werden können. Andererseits gibt es Wild Cards: Ereignisse, welche einzeln betrachtet eher unwahrscheinlich sind, wobei jedoch bei der Summe aller möglichen und unmöglichen «Black Swan Events» einzelne immer wieder auftreten. Auch wenn sie nicht planbar sind, lehrt uns die Geschichte, dass es fahrlässig ist, sie einfach zu ignorieren. Wir müssen uns auf sie vorbereiten und die Organisationen für den Fall der Fälle schützen. Dazwischen gibt es die Unsicherheiten, die «Entweder-Oder-Entwicklungen», bei denen wir auch nach der Konsultation bei Experten nicht abschätzen können, ob sie in die eine oder in die andere Richtung gehen.

Eine Anmerkung dazu: Während es bei Megatrends um Gestaltung und das Machen geht, steht bei den «Black Swan Events» das Verhindern und das potenzielle Reagieren auf mögliche Gefahren im Vordergrund. Es geht dabei eigentlich ums Überleben. Dabei gibt es durchaus auch positive Wild Cards: Ich erinnere zum Beispiel an den Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989.

Hier kommt mein Best Practice Vorschlag

Zunächst eine persönliche Erfahrung: Ab 2021 war ich Teil eines Start-ups, in dem wir zu dritt im Management-Team ein Geschäft in der Ukraine aufbauten. Dabei ging es um Leadership und, unter anderem, um deren Ausbildung. Gegen Ende des Jahres wurde das Säbelrasseln an der Russisch-Ukrainischen-Grenze zusehends lauter. Es fühlte sich an, als arbeiteten wir unter einem Damoklesschwert, das jederzeit fallen könnte. Praktisch bis zum 24. Februar, als das Damoklesschwert dann tatsächlich fiel, war der absolute Grossteil der ExpertInnen der Meinung, dass ein Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine eher unwahrscheinlich ist. Seither erklären uns plötzlich viele ExpertInnen, warum es dazu gekommen ist, und nicht wenige sagen, dass dies sehr gut voraussehbar war. Auch im Nachhinein scheint es mir richtig und wichtig, dass man wegen eines sich potenziell abzeichnenden «Black Swan Events» nicht einfach aufhören sollte, seine Strategie weiterzuverfolgen. Besser wird man es immer erst im Nachhinein wissen. Die vielen potenziellen «Black Swan Events» welche nicht eintreten, über die wird später ja nicht gesprochen. Deshalb ist es für mich völlig klar, dass es beides braucht: Eine Strategie, wie wir die Zukunft gestalten wollen und eine Resilienz-Planung, damit wir im Falle eines «Black Swan Events» gerüstet sind. Fehlt eines der beiden, ist die Zukunftsfähigkeit nicht gegeben.

Folgende Stichworte zur Beurteilung der Ausgangslage:

  • VUCA-Welt: Wir leben in einer Welt, die volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig ist.
  • Digitalisierung: Sie beinhaltet ein enormes Potenzial, aber sie erhöht auch die Vulnerabilität.
  • Agilität: Organisationen müssen sich schneller denn je adaptieren und verändern können.
  • Möglichkeiten: Noch nie gab es derart viele, noch nie hat sich die Welt schneller verändert.
  • Black Swan Events: Sie häufen sich – Finanzkrisen! Pandemien! Kriege! Energiekrisen? …

Diese kurze Liste zeigt, dass das Thema Resilienz zu gross und zu wichtig geworden ist, um es als Teil der Strategieentwicklung abzuhandeln. Erstens erhielte es dabei zu wenig Aufmerksamkeit und Verantwortlichkeit, und zudem glaube ich, dass es bei der Strategieentwicklung und der Resilienz-Planung verschiedene Gruppen mit anderen Teilnehmern und Kompetenzen braucht.

Mein Best-Practice-Vorschlag besteht deshalb aus drei Punkten:

  1. Strategic Foresight: Angesichts der aufgelisteten Herausforderungen erscheint es fast schon paradox, eine Strategie und alle auf ihr basierenden Ressourcen auf einem einzigen Szenario aufzubauen. Es ist höchste Zeit, dass sich Unternehmen systematisch mit der Zukunft auseinandersetzen, unterschiedliche Szenarien in Betracht ziehen, sich vom konstanten Anpassungsmodus befreien und die Zukunft gestalten. Strategic Foresight ist das Tool dazu. Es ist der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit und ermöglicht es, aus einer herkömmlichen eine zukunftsfähige Strategie zu entwickeln. In unserer disruptiven Welt muss Strategic Foresight Mainstream werden und, ähnlich wie die jahrzehntealte SWOT, vor der Strategieentwicklung gemacht werden. Wichtig dabei ist, dass das Team, welches danach die Strategie entwickelt, Teil der Strategic Foresight ist.
     
  2. Strategieentwicklung und -umsetzung: Diese folgt danach und hier existieren in der Regel (gute) Prozesse. Unternehmen nutzen entweder Tools wie OKR (Objectives and Key-Results), BSC (Balanced Score Cards) oder haben ihren eigenen Weg gefunden. Essenziell ist, dass die in der Strategic Foresight erkannten Strategie-Elemente in die Strategie auch tatsächlich einfliessen, und zwar nicht nur in deren Business Planung, sondern auch in deren Umsetzung und in das Reporting.
     
  3. Resilienz-Planung: Diese sollte ein eigenständiger Prozess unter der Federführung des Risikomanagements sein. Ideal ist es, wenn der C-Level für Risikomanagement, der in der strategischen Vorschau und der Strategieentwicklung dabei war, diesen Prozess steuert und die Zuständigkeit für die Resilienz-Planung übernimmt. Best-Practice ist es, im Strategic Foresight Prozess die dort vertretenen Kompetenzen zu nutzen, ein Brainstorming durchzuführen, welche möglichen und unmöglichen «Black Swan Events» denkbar sind, und die entstehende Liste als Input in die Resilienz-Planung einfliessen zu lassen.

Auf den Punkt gebracht

  1. Die Welt bietet zu viele Chancen, um sie nicht mit einer zukunftsfähigen Strategie anzugehen.
     
  2. Gleichzeitig ist die Zukunft so komplex geworden, dass sie Unternehmen ohne Strategic Foresight nicht mehr selbst gestalten, sondern nur deren Entwicklungen nachvollziehen können.
     
  3. Die Geschichte wiederum lehrt uns, dass es weder verantwortungsvoll noch zukunftsfähig ist, dem Thema Resilienz nicht den ihr gebührenden Stellenwert beizumessen und sie stiefmütterlich als Nebenprozess der Strategieentwicklung abzuhandeln.

Wie sieht es in Ihrem Unternehmen aus? Sind alle drei Bereiche abgedeckt und ist Ihr Unternehmen zukunftsfähig unterwegs? Wenn nicht, wo drückt der Schuh? Ihr Feedback interessiert mich, sei es als Kommentar, mit einer Vernetzung auf LinkedIn oder bei einem unverbindlichen Kennenlerngespräch.

PS Lassen Sie sich von der Zukunft leiten - das Beste im Leben kommt noch.