GBS-Trilogie über die Digitalisierung von Backoffices I

Erster Teil: «Faszination Global Business Services»

Irgendwann in den 1990er Jahren hat die digitale Transformation der Unternehmenswelt begonnen. Während dieser Prozess kontinuierlich läuft, gibt es immer wieder Wellen, in denen das Thema in der öffentlichen Debatte auftaucht. Jetzt ist dies im Zusammenhang mit KI, der generativen Künstlichen Intelligenz, wieder der Fall. Während sich, für alle sichtbar, das «Interface» zwischen Unternehmen und Kunden revolutioniert, transformieren sich natürlich auch die Verwaltungen. Ich möchte hier auf das Thema «Digitalisierung von Backoffices» eingehen und mich in einer Trilogie dem Phänomen «Shares Services» und «Global Business Services» widmen. Heute, im ersten Teil, definiere ich den Bereich, erkläre meinen persönlichen Zugang dazu und warum mich dies so sehr fasziniert. Im zweiten Teil geht es dann darum, wo die Global Business Services Industry heute steht. Und der dritte handelt von den zukünftigen fundamentalen Herausforderungen und davon, wohin die Reise gehen könnte.

Mein Zugang zu Shared- und Global Business Services

In meinen frühen CFO-Jahren mussten wir in unserem Management-Team eine erhebliche Reduktion unserer Organisation durchführen. Bei deren Aufbau – in einem Land mit niedrigem Einkommensniveau – hatten wir gefühlt alles auf dem Schirm, nur nicht die Produktivität. Das war derart schmerzhaft, dass ich mir geschworen habe, dass mir so etwas nie wieder passieren würde. Seither habe ich neben dem Wachstum auch immer die Grösse der Administration im Auge behalten, Benchmarks durchgeführt und mich bemüht, in «meinen» Organisationen keine unnötigen Ressourcen aufkommen zu lassen. Die Mitarbeitenden sind die Leidtragenden, während die Verantwortung immer in der Führungsetage liegt. Dabei habe ich das Potenzial einer aktiven Organisationsentwicklung für das Backoffice erkannt und bin früh bei Shared Services und Global Business Services (GBS) gelandet: 2005 habe ich meine MBA-Masterthesis zum Thema geschrieben, 2010 war ich Teil des Leitungsteams beim Aufbau von Group Shared Services in IKEA und von 2015 bis 2020 habe ich deren globale Group Shared Services Organisation geleitet. Ich bin also schon seit 20 Jahren am Thema dran und habe meine Expertise sowohl aus der Mitarbeitenden- als auch aus der Management-Perspektive entwickelt.

Es ist klar: Global Business Services sind ein «Kind der Globalisierung». Warum soll in einer offenen, vernetzen Welt beispielsweise die Buchhaltung in jeder einzelnen Einheit erledigt werden, statt diese zusammenzulegen und die sich daraus ergebenden Skaleneffekte zu nutzen, zumal sich weltweit die Rechnungslegungsstandards mehr und mehr angleichen?

Heute, 2023, steht die Frage im Raum, ob die entsprechenden Voraussetzungen angesichts der neuen geopolitischen Entwicklung noch gegeben sind (viele sehen uns schon wieder im Kalten Krieg), und andererseits stellt die «New Work/Future of Work»-Entwicklung nach der COVID-Epidemie gerade einige der gewachsenen Grundsätze infrage. Aber fangen wir vorn an, mit den Definitionen:

Was genau sind Global Business- und Shared Services?

  • Global Business Services (GBS) ist ein Fachbegriff für zentralisierte Dienstleistungsmodelle, die firmeneigene Shared Services, Outsourcing und Kompetenzzentren (Centers of Excellence, kurz: CoEs) umfassen, um mehrere Geschäftsbereiche zu bedienen. Sie können zum Beispiel Funktionen im Finanz-, IT-, Personal-, Einkaufs- und Kundendienstbereich umfassen und sowohl onshore als auch offshore erbracht werden. (Quelle: Deloitte)
     
  • Shared Services ist das inzwischen gut etablierte Prinzip der Konsolidierung von (Backoffice-) Support-Services, die nicht zum Kerngeschäft gehören, und deren Bereitstellung von zentralen Standorten aus. Das Ziel sind niedrigere Kosten, eine höhere Qualität/Zuverlässigkeit, Standardisierung und Harmonisierung von Services. (Quelle: SSON, Shared Services and Outsourcing Network)

Global Business Services (GBS) sind also eine ausgereiftere und integriertere Version des Shared Services-Modells. GBS steuert die Bereitstellung von Business-Support-Funktionen für das Kerngeschäft über mehrere Service-Delivery-Modelle auf globaler Basis und ist zu einem der beliebtesten Bereiche in der Unternehmensentwicklung geworden, wenn es darum geht, die Leistung über mehrere Business-Support-Services hinweg zu optimieren. Während Shared Services traditionell als Unterstützungsfunktion für das breitere Geschäft angesehen wurden, positioniert sich das GBS-Modell als Geschäftspartner, der dem Unternehmen helfen kann, strategische Ziele zu erreichen. (Quelle: SSON, Shared Services and Outsourcing Network)

Über die Definition von Centers of Excellence (CoEs) und ihre verschiedenen Ausführungen hat Vision Rafal einen exzellenten Artikel geschrieben.

Die Evolution und meine Faszination für GBS

Der GBS-Sektor hat eine faszinierende Entwicklung durchgemacht: Was zunächst in Shared Services Centers (SSC) als Möglichkeit zur Kostensenkung begann, hat sich Schritt für Schritt weiterentwickelt. Zunächst wurden End-to-End-Business-Prozesse etabliert, und als nächster logischer Schritt gemeinsam mit der IT die Digitalisierung der Verwaltung vorangetrieben. Daraus entstand GBS, welche in verschiedenen Organisationsformen die Funktions-, Prozess-, Technologie- und operativen Ausführungskom­petenzen übernehmen oder zumindest koordinieren. Etwas überspitzt lässt sich sagen: Das Kerngeschäft übernimmt die Digitalisierung im Kundenbereich, und in vielen Unternehmen tut dies eine GBS-Organisation für das Backoffice. Dass dies keine zwangsläufige Entwicklung ist, liegt auf der Hand. Je nach Geschäftsmodell, Grösse, geografischem Markt und dem sich daraus ergebenden Potenzial sowie Faktoren wie Unternehmenskultur und Dezentralisierungsgrad kann ein (multi-) funktionaler Shared Services Approach durchaus sinnvoller sein. Zudem lässt sich eine GBS-Organisation nicht einfach so «mir nichts, dir nichts» einführen. Um dies zu verdeutlichen, liste ich hier die Eckpunkte eines Weltkonzerns auf, dessen GBS-Organisation ich einmal besucht habe:

  • Unternehmen: diversifizierter Konzern mit >100 Milliarden USD Umsatz, >30'000 Mitarbeitenden und verschiedenen eigenständigen, voneinander unabhängigen Bereichen, welche zum Teil selbst aufgebaut und zum Teil akquiriert wurden.
     
  • Global Business Services: mehr als 9'000 Mitarbeitende in verschiedenen Orten auf 4 Kontinenten, die 27 Dienstleistungen in den Bereichen Verkauf, Finanz, HR, IT, Legal und Supply Chain anbieten.
     
  • Ziel und Approach: Zum Zeitpunkt meines Besuches hatte GBS das Ziel, mit der Zeit etwa 50 % aller Backoffice Dienstleistungen in GBS zu übernehmen, 80 % davon standardisiert und 60 % in firmeneigenen SSCs mit dann ungefähr 15'000 Mitarbeitenden auszuführen. Für jede übernommene Dienstleistung hat GBS eine jährliche Effizienzsteigerung von 5-6 % pro Jahr versprochen und geplant, die Zahl der verschiedenen involvierten ERP-Systeme von >150 auf <30 zu reduzieren.

Dieses Beispiel zeigt auf, welche Potenziale GBS einerseits hat und was anderseits die enormen Auswirkungen auf existierende Organisationen sind. Interne und lokale Widerstände sind fast zwangsläufig, entsprechend durchdacht müssen das Konzept und die Umsetzung sein.

Meine Faszination für GBS rührt wohl daher, dass ich gerne das grosse Ganze, das «Big Picture» sehen und gestalten will, eine integrative Persönlichkeit bin und Komplexität mich mehr anspornt, als mich abschreckt. Dazu kommt meine Zukunftsaffinität und die Erkenntnis, dass sich die Megatrends sowieso nicht aufhalten lassen und es mehr Sinn macht, die Zukunft selbst zu gestalten, anstatt sich dagegen zu wehren und es am Ende im Eiltempo und Anpassungsmodus dennoch zu übernehmen.

Und damit sind wir beim Thema Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit angelangt. Je grösser ein Unternehmen ist, je komplexer und verästelter dessen Verwaltung ist, desto wichtiger ist es, eine Strategie zu den Backoffices zu erarbeiten und deren Entwicklung aktiv zu gestalten. Die Verwaltung dezentral und im Anpassungsmodus vor sich hin wuchern zu lassen, darf keine Option sein. Dies führt zu mehr (Koordinations-)Bürokratie, langsamen Prozessen, Ineffizienz und sehr hohen Kosten.

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PS Lassen Sie sich von der Zukunft leiten - das Beste im Leben kommt noch.